von Dr. Alper Bilgili, Gastprofessor an der Leeds Universität
Die Reaktion auf den terroristischen Anschlag in Paris einiger Autoren aus der muslimischen Welt haben bei mir und vielen meiner Bekannten Fassungslosigkeit und Enttäuschung hervorgerufen. Statt aus dem Koran Quellen zu zitieren versuchten diese Autoren die Situation zu bagatellisieren. Geleitet von einer inneren Wut haben diese Eiferer auch alle diejenigen, die versucht haben aufzuzeigen, dass diese Anschläge nichts mit dem wahren Islam zu tun haben, beschuldigt, sich dem Westen anzubiedern. Entrüstet über diese Reaktion einiger Muslime, bin ich der Meinung, dass solch ein terroristischer Akt durch das Aufzeigen relevanter Koranverse nicht gerechtfertigt werden kann. Ebenso bin ich aber auch der Meinung, dass wir Muslime in der Lage sein sollten Selbstkritik an uns auszuüben.
Als Muslim denke ich, dass dieser terroristische Akt dem Koran widerspricht, weil in Sure 4 (an-Nisa:die Frauen) Vers 140 im Koran dem Propheten und den Gläubigen geboten wird, den Ort zu verlassen, wenn über ihr Glauben gespottet wird.
“In dem euch offenbarten Buch gebietet Er euch: Wenn ihr hört, dass Menschen Seine Zeichen verleugnen und über sie spotten, dann sollt ihr euch solange nicht zu ihnen setzen, bis sie über etwas anderes reden. Tut ihr das nicht, so gleicht ihr ihnen. Gott wird die Heuchler und die Ungläubigen allesamt in der Hölle versammeln.”
Wie erkennbar wird hier keine intellektuelle Auseinandersetzung, sondern das Verspotten erwähnt. Der Vers ist klar. Muslime sollen sich anstelle in überflüssigen Diskussionen einzulassen, diesen Menschen ihren diskursiven Unmut nonverbal demonstrieren und den Ort verlassen. Auch in der Sure Al Imran (Das Haus Imrans) im Vers 186 steht, dass Gläubige beleidigende Äußerungen begegnen können:
“Ihr werdet mit eurem Vermögen und eurem Selbst geprüft, und von denjenigen, die vor euch die Schrift bekamen, und von denjenigen, die beigesellten, viele Beleidigungen hören. Und wenn ihr geduldig und achtsam seid, dann ist dies gewiss die Entschlossenheit in den Angelegenheiten.“
Wie auch hier erkennbar werden die Gläubigen nicht zu Gewalt sondern zur Geduld aufgerufen, auch wenn es ihnen schwer fällt. In der Sure Al-Mumtahina (die Geprüfte) wird in Vers 8 und 9 angedeutet, dass nur weil jemand über die Religion spottet, dieser nicht zu bekämpfen oder ungerecht zu behandeln ist:
“Gott verbietet euch nicht, gegen diejenigen, die euch des Glaubens wegen nicht bekämpft und euch aus euren Häusern nicht vertrieben haben, gütig und gerecht zu sein. Gott liebt die Gerechten. Er verbietet euch nur, euch mit denjenigen zu verbünden, die euch des Glaubens wegen bekämpft, euch aus euren Häusern vertrieben und anderen bei eurer Vertreibung Beistand geleistet haben. Das sind die Ungerechten.”
Ich bin der Auffassung, dass diese Verse genügend Anhaltspunkte für Muslime geben, wie sie sich gegenüber der von ihnen wahrgenommen Schmähung ihrer Religion zu verhalten haben. Nur weil ein Muslim, der Spott und verletzende Worte hört, dieses Gebot als “passiv” ansieht, gibt ihm das nicht das Recht diese Gebote zu missachten. Für den gläubigen Muslim ergeben sich dadurch die Optionen, entweder den Konsum solcher Zeitschriften wie Charlie Hebdo zu lassen oder bei ernst gemeinten Argumenten diese dementsprechend zu beantworten oder sogar selbst tätig zu werden und solchen Schmähungen selbst mit Humor entgegen zu wirken. Im Koran ist für die Muslime geschildert, wie sie sich gegenüber Attacken auf den Islam zu verhalten und dass sie sich in den Grenzen dieser Verse entsprechend zu handeln haben. Laut Koran dürfen sie nicht nur solchen Aktionen nicht mit Gewalt und Mord begegnen, sie dürfen nicht einmal über die Heiligtümer von Nicht-Muslimen schmähen oder sie gar verleumden. Nach all dem werden sicherlich einige auf mich wütend sein und denken, dass ich übertreibe. Es tut mir leid, aber niemand hat gesagt, dass ein Muslim sein und werden leicht ist. Vor einigen Tagen hat ein meines Erachtens gebildeter Konservativer in seinem Blog geschrieben, dass wenn einer über die Heiligtümer des Islams spottet, bei einem Muslim selbstverständlich die Wut steige. Nein, unsere Wut sollte nicht steigen, sie sollte es nicht! Wenn die Wut überhand nimmt, dann werden wir vor Allah auch in Rechenschaft gezogen werden, weil wir entgegen dieser Verse des Korans handeln. Dieselbe Person fragt in seinem Blog auch die Laizisten, ob sie denn nicht auch gerne zur Gewalt greifen wollen, wenn gegen ihre Heiligtümer gehandelt wird. Dann sagen wir mal gut, sie dürfen auch, ja sie dürfen auch Gewalt anwenden. Doch auch dies verteidigt aus islamischer Sicht nicht solch eine Handlung. Islam bedeutet ja sich Allah zu ergeben, diese Ergebenheit kommt genau in solchen Situationen zum Vorschein. Werden wir Allahs Worten folgen oder uns unserer eigenen inneren Wut ergeben? Auch wenn die Wut zur Verteidigung unseres Propheten dienen soll, ändert sich nichts an der Tatsache. Wir als Muslime dürfen nicht die Regeln Allahs missachten. Denn auch der geliebte Prophet würde uns nichts anderes sagen, als die Worte Allahs zu befolgen. Das Gegenteil davon kann nicht unter dem Deckmantel des Islams verteidigt werden, dies wäre keine islamische Handlungsweise sondern vielmehr eine gefühlsbetonte egoistische Handlung.
Manche konservativen Muslime werden jetzt jedoch gewisse Aussagen des Propheten einbringen, wonach der Prophet selbst bei Hohn und Spott Gewalt angewendet habe. Es gibt sogar Menschen, die solche Ahadith als grundsätzlichen Leitfaden für jeden Moslem betrachten. Wir wissen alle, dass die fundamentalen Hadithbücher einige hundert Jahre nach unserem Propheten gesammelt wurden, auch genau in einer Zeit, in der politische Auseinandersetzungen existierten. Gerade diese Realität kann keinen dazu verlangen an Ahadith zu glauben, wo die dem Propheten zugeschriebene Handlung dem Koran widerspricht. Mehr sogar, die Personen, die diese Ahadith nicht ablehnen, vertreten die Aussage “Das ist nicht der wahre Islam” nicht glaubwürdig.
Ich möchte, bevor ich zu den Folgen der Geschehnisse für die Muslime komme, noch auf einen Punkt aufmerksam machen. Aufgrund meiner Ansicht und die meiner Freunde wird uns immer wieder die Kritik geäußert, dass wir auf Seiten der Orientalisten stünden. Als Soziologe bin ich jemand, der sich mit dem Westen schon einigermaßen auseinander gesetzt hat und auch die ausländischen Tageszeitungen verfolgt. Daher kann ich sagen, dass die Personen, die für den Terrorangriff eintreten, den Islamgegnern wie z.B. Geert Wilders in Holland eher ein Argument gegen den Islam geben als Personen, die den Terrorakt von Paris verurteilen als „nicht Teil des wahren Islam“. Ebenso kann ich auch Menschen nicht verstehen, die stets versuchen gegen westliche Werte zu kämpfen. Ohne es zu merken liefern sie somit dem Westen immer eine Angriffsfläche gegen den Islam. Die einzige wahre Verhaltensweise ist, sich an die Gebote des Korans zu halten und nicht immer wo möglich den Westen zu provozieren.
Zudem ist es rechtmäßig die Beziehung zwischen nicht-argumentativer Islamkritik und Meinungsfreiheit zu hinterfragen. Man weiß, dass 2008 einem Mitarbeiter von Charlie Hebdo aufgrund eines antisemitischen Witzes gekündigt wurde. Auch dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass am selben Tag des terroristischen Angriffes in Paris Terroristen in Jemen 37 Menschen umgebracht haben, wovon in der westlichen Presse jedoch kaum berichtet wurde. In weiterem Sinne ist eine Doppelmoral bei uns allen geläufig. Den Holocaust verurteilen aber zu Guantanamo oder Gaza stillschweigen. Das hier verschiedene Maßstäbe entwickelt werden wird offensichtlich, aber dies kann nicht mit einer intellektuellen Haltung vereinbart werden. Es ist wahr, dass sehr viele bekannte Personen im Westen, die sich einen Namen gemacht haben, in diesem Sinne sehr milde ausgedrückt in einem Widerspruch leben. Gleichzeitig den gesamten Westen so anzusehen – je mehr es einem auch gefällt – ist unrealistisch. In einer im Jahre 2014 von PEW geführten Meinungsumfrage haben 72% der Franzosen eine positive Einstellung gegenüber Muslime. Auch in England haben doppelt so viele eine positive Einstellung zu Muslimen als diejenigen Befragten, die eine negative Einstellung hatten. In Europa gibt es sehr viele westlich eingestellte Vereine, die versuchen für die Muslime und Migranten die Menschenrechte durchzusetzen. Auch darf man das jüngste Ereignis in Australien nicht vergessen, wo ein Iraner zwei Geiseln in einem Kaffee festnahm und sie dann im Anschluss umbrachte. Hier haben sich Australier gleich in Twitter organisiert, um möglichen Hass gegen Muslime zu unterbinden. Auch darf man Personen wie Jordan Weismann nicht vergessen, der – sogar direkt nach dem Anschlag – Charlie Hebdo aufgrund ihrer rassistischen Karikaturen kritisierte. Statt den Westen richtig zu deuten ist es niemals ein Gewinn für uns gewesen, auf unser Ego zu hören und sogar gleichzeitig mit unseren niederen Komplexen Szenarien zu bilden, dass “der Westen uns sowieso hasst”.
Was wir Muslime jetzt brauchen ist es uns zu besinnen und unsere Emotionen zur Seite zu legen. Es wird immer Menschen geben, die Fremde nicht mögen, sie sogar hassen und beschimpfen. Dieser Punkt ist auch für die Muslime von Bedeutung. Wir dürfen nicht solchen Personen eine besondere Bedeutung, die sie nicht haben, beimessen und daher den gesamten Westen als unsere Feinde sehen, sondern stattdessen uns selbst und unsere Ansicht über den Islam reflektieren. Das dürfen wir nicht deshalb tun, weil es “der Westen” möchte, sondern, weil wir es wegen unserer schlechten Lage in die Hand nehmen müssen. Sonst werden wir uns weiterhin als Opfer sehen und zum Beispiel die Schuld dafür, dass die gesamte arabische Welt nur gerade mal so viele wissenschaftliche Artikel wie die Harvard Universität veröffentlicht, bei der angeblichen Befangenheit einiger Gutachter suchen.
Comments
Ah Hocam aah! Ne desen haklisin. Bunu bu günümüz müslümanlarina nasil anlatacagiz? Şöyle bir kendimize baktığımız zaman görüyoruz ki, biz hala 1400 sene öncesindeki cahiliyye adetlerine takılıp kalmışız. Bu adetler islama da direnmişler ve kendilerini bize bugün islam olarak satıyorlar.
Allah razı olsun.
Selamlar